Walter Benjamin, „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“

 

Wozu Kunsttheorie angesichts des Faschismus?

Kürzlich hat der Kulturwissenschaftler Andreas Gehrlach daran erinnert, dass Walter Benjamins Aufsatz über „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, der heute als früher Klassiker der Medientheorie gilt, ein Text gegen den Faschismus ist. Benjamin hat dieser Verkennung insofern Vorschub geleistet, als die antifaschistische Stoßrichtung vor allem in der Einleitung und dem Abschlussstück des Textes explizit diskutiert wird (dort allerdings in aller gebotenen Deutlichkeit), zumal der in Paris zuständige Sekretär des Instituts für Sozialforschung Hans-Klaus Brill unter Maßgabe Max Horkheimers gerade diese Einleitung für die Erstveröffentlichung 1936 ersatzlos gestrichen hatte. Auch die übrigen expliziten Bezüge auf Kommunismus wie Faschismus in der zunächst in französischer Übersetzung durch Pierre Klossowski erschienenen Fassung ließ Horkheimer umformulieren (aus ihnen wurden forces constructives de l’humanité respektive der état totalitaire), um die bereits im Pariser Exil erscheinende Zeitschrift für Sozialforschung und die anlaufende Etablierung des Instituts in den USA nicht zu gefährden.

Gehrlach betont mit Benjamin einen Aspekt faschistischer Politik, der sich seitdem zwar grundlegend – vom Radio zum Internet – verändert, aber dabei nicht an Bedeutung verloren hat: Man denke nur an den TikTok-Erfolg der AfD, TradWifes auf Youtube, Trumps Fake News, Putins Troll-Farmen, Verschwörungsmemes auf 4chan und rechtspopulistisch blinkende Tageszeitungen. Überzeugend analysiert der Kulturwissenschaftler die Strategie der Free Speech Warriors, Meinungsfreiheit (und das heißt Sendeminuten) genau bis zu dem Moment lautstark einzuklagen, an dem sie selbst die Kontrolle über die Kanäle übernommen haben. Elon Musks Umgang mit dem in X umbenannten Twitter ist das jüngste Beispiel. Gehrlach leitet daraus die richtige Forderung ab, den Rechten die Medien nicht kampflos zu überlassen. Was aber folgt aus dieser Forderung für eine antifaschistische Medienpraxis? Zumal in seinem Text zugleich eine gehörige Portion Medienskepsis mitschwingt: Allzu sehr berauschten und berauschen sich Faschist*innen an ihrem eigenen Bild, wie Gehrlach mit exaltierten Ausrufen von Joseph Goebbels bis Erik Ahrens unterstreicht.

Vom Recht der Masse, in den Medien aufzutauchen

Mit Student*innen habe ich Benjamins Text im Rahmen eines Seminars zu Faschismustheorien vor einigen Monaten ebenfalls erneut gelesen. Dabei ist uns zunächst aufgefallen, wie merkwürdig, ja irritierend viele der Thesen dieses Texts weiterhin sind: ein Umstand, den seine späte, aber dafür umso umfassendere Kanonisierung leicht vergessen machen kann. Besonders der Gedanke, dass die technische Reproduzierbarkeit der Kunst als Konsequenz einen Anspruch, sogar ein Recht der Masse nach sich zieht, im Kunstwerk aufzutauchen, also fotografiert, gefilmt und aufgenommen zu werden, mag angesichts ihrer Verwirklichung durch Instagram undReality-TV verwundern. Er ist aber zentral für die Argumentation des Textes. Benjamin erklärt diesen Anspruch zunächst materialistisch, indem er das Kunstwerk historisiert: Mit der technischen Reproduzierbarkeit verliere das Kunstwerk seine Funktion im Dienst des Rituals. Es emanzipiert sich, so schreibt Benjamin, aus dem Zusammenhang der Tradition und rückt dabei ganz nah an die Menschen heran. Ihr Verhältnis zur Kunst verändert dieses Näherrücken radikal, es verkehrt sich geradezu ins Gegenteil. Aus der ehrwürdigen Versenkung in das Kunstwerk (aus sicherer Distanz), die von einer eingeweihten Priesterschaft angeleitet (und überwacht) wird, wird die Versenkung des Kunstwerks in die Masse der zerstreuten Betrachter*innen.

Durch die technische Reproduzierbarkeit und Vervielfältigung rückt das Kunstwerk aber nicht nur räumlich näher an den Menschen heran, begegnet ihm also mehr und mehr, wo immer er steht – man denke nur an den Sprung vom Museumsbesuch zur Museumspostkarte zum Screenshot. Die Reproduktionstechnologie ist Stand 1900 außerdem in der Lage, die gesamte Kunst der Menschheitsgeschichte in sich aufzunehmen und zu ihrem Gegenstand zu machen. Darüber hinaus erlaubt sie Ansichten von ihr, die zuvor unzugänglich waren. Sie hat nämlich außerdem die Fähigkeit, ganz unterschiedliche, bislang verborgene Aspekte der überlieferten Kunstwerke aufzudecken, etwa durch die Detailfotografie eines Pinselstrichs, die Rückenansicht einer dem Blick der Gläubigen in der Kathedrale enthobenen Kapitellfigur oder der zur Slow Motion verlangsamten Aufnahme des für das Auge viel zu schnellen Bewegungsablaufs einer Dampfwalze. In der Fähigkeit zu einer solchen Sichtbarmachung parallelisiert Benjamin den Film mit der Psychoanalyse, spricht angelehnt ans Triebhaft-Unbewusste vom Optisch-Unbewussten, das der Film aufdecke.

Der Film – und zwar gerade der auf Massenkonsum ausgelegte – ist für Benjamin dann auch das ausschlaggebende Beispiel. Er ist ganz durch die Reproduktionstechnik hervorgebracht, Benjamin spricht von Apparaten. Denn erst die Montage und Projektion erzeugen das Filmkunstwerk, das ohne sie schlicht nicht existiert. Darin unterscheidet es sich etwa vom abfotografierten Ölgemälde, entspricht dafür aber der Technisierung insgesamt und wird so zur Schule für die ihr angemessene Wahrnehmung. Denn das ist einer der großen theoretischen Clous von Benjamins Text: Die Wahrnehmung selbst wird in ihm materialistisch, also als sozial hervorgebracht, historisch und daher veränderlich verstanden. Infolge dieser Wahrnehmungsschule werden die Betrachter*innen laut Benjamin nicht nur mindestens zu „halben“ Expert*innen, was die lebhaften Diskussionen im Anschluss an einen Kinobesuch bis heute illustrieren, in denen durchaus auch die technische Natur des Gesehenen zum Thema wird: Wie waren die Schnitte gesetzt, welche Kamerafahrten kamen zum Einsatz? Wie das Kamerabild die Wirklichkeit testet, zerlegt und wieder zusammensetzt, so agiert Benjamin zufolge auch die Kinobesucherin als Testerin. Die Fähigkeiten, die sie dabei erlernt, kann sie dann außerdem auch in ihre eigene technisierte Wirklichkeit übertragen.

Benjamins berühmt gewordene Bezeichnung für diesen historischen Prozess ist das Verkümmern der Aura. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Hauch oder Luft. Benjamin bestimmt ihn für seine Zwecke „als einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“ – eine Art Entrückung. Die Aura des Kunstwerks war unwiderruflich an dessen Echtheit, Einzigartigkeit sowie die Tradition oder Überlieferung, die beides garantierte, gekoppelt. Dieser Verlust, den Benjamin ja wiederholt in Zusammenhang mit der Entwicklung der Produktivkräfte und der Entstehung einer die automatisierte Technik mehr und mehr vor allem dirigierenden Masse insgesamt stellt (wenn die Kunst der Umwälzung auf der Ebene der Produktion auch hinterherhinke), läuft aber grosso modo auf eine Demokratisierung der Kunst hinaus. Denn beide Entwicklungen zusammengenommen würden nach und nach jede in den Stand versetzen nicht nur frei und gleichberechtigt mit Kunst umzugehen, sondern auch aus dem eigenen Lebenszusammenhang heraus Kunst zu erschaffen (wenn sie es denn wollte). Benjamin illustriert das am Anwachsen der Zahl der Lesenden zwischen 1800 und 1900, die schließlich, unabhängig von einer professionellen Rolle als Journalist*innen oder Autor*innen, jederzeit die Seiten wechseln und zu Schreibenden werden konnten, wofür sich dann auch die Publikationsorgane stetig vermehrt haben: von Leserbriefen über Fanzines zu Online-Foren und Selfpublishing. Bislang geschieht das noch unter Aufrechterhaltung eines abgegrenzten Bezirks „echter“ Literatur, der umso strenger bewacht wird, je weniger Beachtung er gesamtgesellschaftlich findet (womit allerdings rein gar nichts über die mögliche emanzipatorische Rolle von Literatur und deren Bewertungskriterien gesagt ist). Benjamin ist keineswegs blind für die großen Zerstörungen, die mit dieser Veränderung einhergehen. Oft kommen deren Beschreibungen bei ihm jedoch äußerst abgeklärt daher, von der „Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe“ ist etwa die Rede. Man übergeht aber jedenfalls etwas an Benjamins Text, wenn man das Emanzipationspotenzial, das für ihn hierin eben auch liegt, nicht beachtet.

Wo sich Starsystem und Führerkult berühren

Sind Online Foren, soziale Plattformen, Handykameras und Content Creator also der nächste Schritt auf dem eben nur noch unvollendeten Weg zu dieser umfassenden Demokratisierung? Das Näherrücken schreitet zwar voran, jede trägt heute nicht nur ein ganzes Filmstudio, sondern auch noch Sender, Empfänger und dazu fast unbegrenzten Speicherplatz in der Hosentasche. Doch die immer intimere Verschränkung von Leben und Kunst in der fortschreitenden Mediatisierung findet damals wie heute unter kapitalistischen Eigentumsverhältnissen statt. Und ganz wie in der Marx’schen Analyse die kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die doch erst die große Industrie, ihre Automatisierungsschübe und mir ihr die proletarisierte Masse hervorbringen, die Produktivkräfte irgendwann in ihrer Entfaltung hemmen, so hemmen Benjamin zufolge die Eigentumsverhältnisse, die die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks im bürgerlichen Zeitalter zunächst befördert hatten, ab einem bestimmten Punkt diese Entfaltung der Kunst.

Doch warum sollte jemand überhaupt noch überteuerte Kinotickets bezahlen (Benjamin selbst konnte im Pariser Exil aufgrund der mageren Instituts-Bezahlung wohl nur noch selten ins Kino gehen), um irgendwelche fremden Personen dabei zu betrachten, wie sie abgefilmt, zerschnitten und wieder zusammengesetzt werden, wenn doch klar ist, dass jede selbst im Film auftauchen, ja ihn sogar selbst machen kann und dazu heute auch noch ein unendliches Archiv solcher Filme zur Verfügung hat? Die Antwort Hollywoods bestand laut Benjamin in der Re-Auratisierung: Es schuf den Starkult, baute die Personality außerhalb des Filmstudios auf und installierte dabei neue Riten der Götterverehrung.

Man kann an Benjamins Bemerkung anschließend fragen, ob nicht erst die Möglichkeit der technischen Reproduktion jenen Kult des Originals hervorbringt, der uns bis heute begleitet. Das hieße, dass der Originalkult dem Sprung in der technischen Reproduzierbarkeit, den Benjamin insbesondere mit Fotografie und Film konstatiert, nicht vorausgeht und ihm gegenüber eigentlich veraltet ist, sondern vielmehr gleichursprünglich mit diesem Sprung wäre. Die religiösen oder politischen Funktionen des vormodernen Kunstwerks müssten dann anders als vor allem durch seine Echtheit und Einzigartigkeit, sein Hier und Jetzt, wie Benjamin immer wieder schreibt, garantiert gedacht werden, und die Mechanismen der Auratisierung umgekehrt zumindest auch als genuin moderne. In Benjamins Betrachtungen zur modernen Malerei und zur Ausstellungspraxis scheint mir eine solche weniger teleologische Perspektive angelegt zu sein.

Für den Blick auf das Jahrhundert der Extreme bleibt aber die Gleichzeitigkeit eines unausgesetzten Näherkommens der Kunst wie ihrer künstlich eingezogenen und dafür oft umso radikaleren Enthebung, die Benjamin genau beschreibt, triftig. Denn auch den Faschismus zeigt Benjamin als eine Antwort auf die geschilderte Situation:

Der Faschismus versucht, die neu entstandenen proletarisierten Massen zu organisieren, ohne die Eigentumsverhältnisse, auf deren Beseitigung sie hindrängen, anzutasten. Er sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen. Die Massen haben ein Recht auf Veränderung der Eigentumsverhältnisse; der Faschismus sucht ihnen einen Ausdruck in deren Konservierung zu geben. Der Faschismus läuft folgerecht auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus. Der Vergewaltigung der Massen, die er im Kult eines Führers zu Boden zwingt, entspricht die Vergewaltigung einer Apparatur, die er der Herstellung von Kultwerten dienstbar macht.

Es ist für Benjamin (anders als für viele durch Hitlers Machtübernahme zunächst kaum in ihrer Erwartung einer unmittelbar bevorstehenden Revolution verunsicherten Parteikommunist*innen) also keineswegs ausgemacht, wie der Konflikt schließlich aufgelöst werden würde. Das macht den Vorwurf eines zwanghaften Technooptimismus und einer Verklärung des Emanzipationspotenzials des Kinos, die dem hier ja wirklich stark in marxistischen Begriffen argumentierenden Benjamin des Kunstwerke-Aufsatzes immer wieder gemacht wurde, aber wenig plausibel (zumal Kritiken dieser Art die konkrete historische Situierung, die Benjamin im Text ja vornimmt, in der Regel ignorieren).

Medien antifaschistisch nutzen, oder: Wie politisiert man Kunst?

Berühmterweise beantwortet Benjamin diese Ästhetisierung der Politik durch den Faschismus nämlich nicht mit Däumchen drehen und abwarten, sondern mit der Forderung nach einer Politisierung der Kunst. Das beinhaltet für ihn zunächst, den Anspruch der Massen einzulösen, sie endlich wirklich zu ihrem Recht kommen zu lassen, statt ihrem Anspruch nur Ausdruck zu verschaffen. Genau deshalb reicht es auch nicht hin, auf die faschistische Mobilisierung der Medien zu reagieren, indem man nun ihrem Vorbild nacheifernd antifaschistischen Content, eigene Heldengeschichten und Propaganda, produziert. Unter Bedingungen des Privatbesitzes an Produktionsmitteln und Distributionsplattformen ist eine solche Ästhetisierung der Politik, die die herrschenden Verhältnisse gar nicht erst angreift, zwar klar im Vorteil, der Emanzipation allerdings wenig zuträglich, weil sie die Rolle als passive Konsumentin reproduziert, anstatt an der Aufhebung des Unterschieds zwischen Konsumentin und Produzentin zu arbeiten: Kulturindustrie wie Faschismus setzen deshalb auf Spektakel, Unterwerfung, Aura, wenn die Destruktivität des Letzteren auch irgendwann doch zum Problem für das Profitstreben der Ersteren wird. Dann ist es allerdings zu spät. Hellsichtig beschreibt Benjamin drei Jahre vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs durch die deutsche Wehrmacht, Mussolinis Abessinienkrieg bereits vor Augen, den Fluchtpunkt jeder Ästhetisierung der Politik:

Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg. Der Krieg, und nur der Krieg, macht es möglich, Massenbewegungen größten Maßstabs unter Wahrung der überkommenen Eigentumsverhältnisse ein Ziel zu geben. […] Die Menschheit, die einst bei Homer ein Schauobjekt für die Olympischen Götter war, ist es nun für sich selbst geworden. Ihre Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt.

Was kann Politisierung der Kunst aber stattdessen heißen? Folgt man Benjamin, muss es ihr wohl darum gehen, die demokratisierenden Potenziale der in der technischen Reproduzierbarkeit verwandelten Kunst freizusetzen. Das gäbe auch heute noch eine gute Richtschnur für eine antifaschistische Kunst- und Medienpraxis ab. In letzter Konsequenz erfordert das zwar die kollektive Aneignung der Apparatur. Die wiederum kann, Benjamin sah das sehr deutlich, nur als Aufhebung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln erfolgen. Da sich aktuelle Versuche in diese Richtung bislang weitgehend zahm ausnehmen und sich das Warten auch in der aktuellen Situation nicht empfiehlt, sollte der antifaschistische Medienumgang aber möglichst genau um die ihm gesetzten Bedingungen und Mechanismen, Fähigkeiten und Grenzen, Bescheid wissen. Dann können nämlich Werke entstehen, die nicht alleine einen linken Inhalt haben, sondern genau diesen Widerspruch produktiv machen und so Wahrnehmung, Denken und schließlich auch Praxis reorganisieren. Eine solche Kunst kann ganz unterschiedlich aussehen, viele verschiedene Formen finden und hat mit den Vorbildern, die Benjamin beim Schreiben seines Aufsatzes im Kopf hatte – Brechts Episches Theater, der frühe sowjetische Avantgarde-Film, Sergei Tretjakows literarische Praxis –, schon aufgrund der völlig veränderten medialen und technologischen Lage oft nur wenig gemein. Sie teilt mit ihnen aber ganz sicher den Vorbehalt gegenüber allen Versuchen der Re-Auratisierung – was wohl auch hieße, sich von dem weitverbreiteten Wunsch nach einer neuen linken Meistererzählung, so nachvollziehbar er angesichts des rechten Angriffs ist, endlich zu verabschieden.

Und die Theorie? Was kann sie tun? Auch wenn wir gelernt haben, der Rede von Gesetzen in der Geschichte, von geradlinigen Entwicklungen und Ähnlichem zu misstrauen, die hier Benjamins Blick – anders als in vielen anderen seiner Texte und ungeachtet der schönen Haken und Volten, die er nichtsdestotrotz schlägt – lenken, könnte es sich lohnen, seine Fährte aufzunehmen. In der gegenwärtigen Kunst- und Kulturproduktion sowie -rezeption gilt es dann ohne Dünkel die Punkte aufzuspüren, an denen sie unabhängig, ja oft sogar entgegen ihrer (kommerziellen oder propagandistischen) Absichten zur Kritik an den überkommenen Kategorien wird, weil diese ihr schlicht nicht mehr gerecht werden. „Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu erzeugen, für deren volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist.“ Ganz zu Beginn erläutert Benjamin jedenfalls die Absicht seines Textes so: Er wolle eine Reihe von Begriffen in die Kunstanalyse einführen, die – anders als die traditionellen wie „Schöpfertum“ und „Genialität“, „Ewigkeitswert“ und „Geheimnis“ – „für die Zwecke des Faschismus vollkommen unbrauchbar sind“. Dieser Versuch wäre heute auch angesichts der digitalen Durchdringung des Alltags durch Gadgets und Smart Environments sowie der zunehmenden Verbreitung und Einbettung von Machine Learning mit seinen statistisch generierten Texten und Bildern, die sich von der analogen, mechanischen Reproduktion, wie sie Benjamin vor Augen stand, fundamental unterscheiden, zu erneuern. Benjamins Text bleibt dafür ein unverzichtbarer Ausgangspunkt.

Morten Paul