Freitag, 9. Februar 2024, 19.30 Uhr, diffrakt | zentrum für theoretische peripherie
Gespräch mit
Jacob Birken | Katja Müller-Helle
Im vergangenen Herbst erschien Jacob Birkens Essay Vom Pixelrealismus. Ausgehend von dem am Rechner erzeugten Stillleben Cyborg des Künstlers Takeshi Murata befasst sich der Kulturhistoriker dort mit der Frage, welche Funktion die aus Pixeln bestehenden Bilder, die zuweilen kaum mehr von Fotografien zu unterscheiden sind, in der Gesellschaft einnehmen könnten. Im Gespräch mit der Kunstwissenschaftlerin Katja Müller-Helle soll nun diskutiert werden, inwiefern der digitale Realismus gerade keine ontologische Zäsur darstellt: Die Vorstellung einer technisch (re-)produzierbaren Welt lässt sich Birken zufolge bereits bis in die Frühe Neuzeit zurückverfolgen.
Was zeigt und was verbirgt die täuschende Darstellung der Oberflächen jeweils? Laut Birken ist das vor allem „die reale Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und der Biosphäre“. Wurde in den Stillleben des Barock die Gewalt dieser Ausbeutung hinter einer Fülle von Blumen, Textilien und kostbaren Materialien versteckt, deren Sammlung sich gerade dem Kolonialismus verdankte, so sind heute die seltenen Erden aus dem prekären Coltan-Abbau im Kongo hinter den Bild(schirm)oberflächen versteckt – als Teil der technischen Bedingungen, unter denen digitale Bilder überhaupt erzeugt werden können.
Welche historiografischen Kontinuitäten und Brüche sich in einer solchen longue dureé des Wirklichkeitsversprechens von klassischen Bildmedien zum heutigen Pixelrealismus aufdecken lassen, interessiert dabei Müller-Helle besonders: Verweisen tropische Früchte, Teppiche und Gewürze in den niederländischen Gemälden in vergleichbarer Weise auf die Wirklichkeit wie eine 3D Grafik? Auch die verabsolutierte »Neuheit« des errechneten Realismus erwiese sich dann als Trompe-l‘œil, als Augentäuschung der Vermarktung. Was aber würde aus dieser Einsicht für die Bildgeschichte einerseits und für ästhetische Praktiken der Gegenwart andererseits folgen?